Der Senf ist alle.
Manche Menschen gucken in den Kühlschrank, als würden sie durch eine Klopapierrolle schauen – direkt voraus, den Blick auf einen schmalen Ausschnitt gerichtet. „Wir haben keinen Senf mehr“, verkünden sie, während drei Flaschen nur wenige Zentimeter daneben stehen.
Andere hingegen nehmen alles auf einmal wahr, wie mit einem Flutlicht. Abgelaufener Joghurt? Gesehen. Halbe Zitrone von letzter Woche? Notiert. Reste, die garantiert nie gegessen werden? Erfasst und innerlich abgeschrieben.
Es ist faszinierend, wie unterschiedlich Menschen die Welt wahrnehmen. Doch hier geht es nicht nur um Kühlschränke.
Menschen verarbeiten Informationen auf sehr verschiedene Weise. Einige neigen zu einem fokussierten, selektiven Wahrnehmungsstil – sie blenden Unwichtiges aus und konzentrieren sich gezielt auf das Wesentliche. Andere haben eine weite, breite Aufmerksamkeit, die es ihnen erlaubt, zahlreiche Eindrücke gleichzeitig aufzunehmen und zu verknüpfen.
Beide Herangehensweisen haben ihre Stärken. Die „Tunnelblick-Denker“ sind effizient, treffen schnelle Entscheidungen und lassen sich nicht so leicht ablenken. Die „Flutlicht-Denker“ hingegen sind Meister der Komplexität. Sie erkennen Muster, ahnen Konsequenzen voraus und stellen Verbindungen her, die anderen entgehen.
Doch genau hier liegt die Herausforderung: Wer die Welt wie mit einem Flutlicht wahrnimmt, nimmt nicht nur das Offensichtliche auf – sondern alles. Soziale Herausforderungen, politische Umbrüche, zwischenmenschliche Dynamiken, gesellschaftliche Erwartungen, globale Krisen. Es ist nicht nur Multitasking, sondern Multi-Kontexting.
Und genau das kann überwältigend sein. Wenn jede Ebene von Bedeutung scheint, wenn das Gehirn zu viele Gedanken auf einmal hält, wenn alles gleichermaßen dringlich wirkt – dann wird Denken anstrengend, Entscheidungen zäh und Klarheit schwer greifbar.
Ich nenne das Hyperkontext. Wenn sich Gedanken in zu vielen Schichten verheddern. Es macht den Kopf schwer, verlangsamt Entscheidungen und nimmt die Leichtigkeit.
Mitgefühl und Tiefgang sind eine Stärke. Doch ohne einen starken inneren Kompass führt es zur Überforderung.