Oma, Mutter, Kind und Kegel

Noch nicht lange her saß ich abends mit einem Kollegen und einigen Teilnehmenden im Restaurant. Eine dieser Gespräche, die einfach passieren – ungeplant, herzlich, ehrlich. Hinter uns lag ein intensiver Workshop-Tag, voller Begegnung.

Wir sprachen über Heimatorte und Heimreisen – diese oft besonderen Momente nach Geschäftsreisen. Und über die Besuche bei den Großeltern.

Wir sprachen darüber, wie klein die Großeltern mit den Jahren wurden. Wie zerbrechlich. Wie zutiefst menschlich sie wirkten in ihrer Verletzlichkeit. Meine Großmutter mütterlicherseits wurde 1911 geboren. Die väterlicherseits wurde fast hundert Jahre alt. Was für ein Leben. Von der Pferdekutschen zu FaceTime. Von Kriegen zu Hochzeiten, von Verlust zu Verbundenheit. Sie haben Felder bestellt, Kinder großgezogen, Männer verloren, haben gewählt und Freude am Fernsehen gefunden, Freunde begraben und Blumen gepflanzt. Und irgendwie blieben sie sie selbst. Immer noch „Oma“.

Das ist Mut.

Oder eine Mutter in ihren achtzigern. Sie hat als Kind Bombenangriffe überlebt. Hat sich ein Leben aufgebaut, Kinder großgezogen, eine Ehe beendet, Liebe gefunden. Sie gärtnert, malt, fährt Fahrrad, pflegt den Umgang mit dem widerspenstigen Smartphone. Sie ist neugierig, wissbegierig, liebt Gespräche mit den Jungen – und schläft manchmal schlecht.

Ich nenne das mutig.

Und wir? Wir leben in vollen Städten mit vollen Kalendern. Jonglieren mit Job, Träumen, Hund, Deadlines, Sauerteig, Kindern und einem Vespaprojekt in der Garage. Wir interessieren uns für Politik, Klima, Gesellschaft. Streichen am Wochenende das Bad neu und lesen am Montagmorgen die Nachrichten.

Auch das ist mutig.

Denn das Leben ist viel. Zu viele Kontexte, zu viele Stimmen. Manchmal scheint es unmöglich, alles unterzubringen – Großeltern, Klima, Eltern, soziale Verantwortung, Sicherheit, Selbstfürsorge, Kind und Kegel – in einem einzigen Herzen und einem einzigen Kopf. Wir hyperkontextualisieren. Wir nehmen alles gleichzeitig rein. Und stehen trotzdem in der Küche und fragen uns, was es zum Abendessen geben soll.

Und auch hier braucht es Mut.

Den Mut, innezuhalten. Sich nach innen zu wenden. Den inneren Kompass nicht weiter auszulagern, sondern in sich selbst zu verankern. Boden zu finden.

Das ist der Kern meiner Arbeit.

Mut als Antwort auf Angst. Nicht der laute, schrille Mut. Sondern der leise, klare. Der, der uns wieder atmen lässt. Der, der sagt: Das bin ich.

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Bitte niemals hinter dem Auspuff stehen.

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Dann geh ich mal duschen.